II. Unmenschlichkeit

Der Alarm schrillte durch die unterirdischen Gänge. Rote Lampen blitzten periodisch auf. Etwas Unwirkliches lag über den in roten Lichtinterwallen getauchten, sonst dunklen Gang, der zur Zentrale führte. Wenn das Schott aufglitt, kam man in einen ebenfalls dunklen, nur durch rötliche Notbeleuchtung erhellten Raum.

Über Monitore glitten in sekundenschnelle Schriftzeichen und Tabellen, es klickte von Auswertungsrechnern, das leise Flüstern der Männer, die in kleine Mikrophone vor ihrem Mund sprachen, geisterte durch den Raum.

„Achtung! Alle Mannschaften auf ihre Plätze! Abschuß der Interkontinentalraketen in 10 Minuten. Countdown ab 10 minus 9.”

Auf einem großen Wandmonitor waren die Umrisse des Landes zu erkennen, einem Land, von dem es hieß, daß es das Land der unbegrenzten Möglichkeiten sei. Ein kleines Licht verdeutlichte den eigenen Standpunkt.

„Die Bombergeschwader haben Alaska überflogen. Keine Ausfälle. Die Sprengköpfe sind scharf.“ meldete sich erneut die unpersönliche Stimme.

Fieberhaft arbeiteten die Männer, speicherten Meldungen, kontrollierten und korrigierten sie nötigenfalls.

„Bisher keine Abfangjäger. Die B52 werden ihre Positionen jeweils in spätestens 15,63 Minuten erreichen.“

Kaum einer der an den Schaltpulten sitzenden Männer achtete auf die Stimme. Sie waren zu beschäftigt, von ihnen hing alles ab, wie ihnen hohe Offiziere und Politiker immer wieder versichert hatten.

Zur Zeit trugen einige mit Leuchtstiften die Positionen feindlicher Objekte ein.

„Countdown ab jetzt. Noch 59 Sekunden bis Zero- 57,56,55,54,...“

Während die Zahlen kleiner wurden, öffnete einer der Männer mit einem Spezialschlüssel einen Kasten, schob den Schutz nach hinten. Ein zweiter Mann steckte seinen Schlüssel in die entstandene Öffnung. Es klickte, dann fuhr das Innere des Kastens nach oben heraus. Ein Dritter steckte eine Karte in einen Schlitz, der zum Vorschein gekommen war. Kurz nach einem Summen öffnete er die Klappe und sichtbar wurde- ein grauer Knopf.

„29,28,27,26,25,24“

Als die Stimme bei Null- Zero- angelangt war, drückte der Erste der Schlüsselträger energisch den Knopf.

„Abschußbestätigung! Alle 126 Flugkörper planmäßig gestartet. Kurs exakt. Erste Abfangraketen in 32 Minuten erwartet. Laut Hochrechnung werden rund 50% ihr Ziel erreichen!“

Nun allmählich entspannten sich die Männer, immer mehr lehnten sich zurück und sahen auf den Hauptmonitor. Durch weiße Linien begrenzt sah man dort die fünf Kontinente.

Helle, gestrichelte Linien kennzeichneten die Flugrichtungen der eigenen Raketen. Diese hatten den Atlantik schon halb überquert, da erschienen neue Linien auf dem Schirm, diesmal rote- die Abfangraketen der Feinde.

Die Augen aller hingen an den sich rasch nähernden Linien.

„Kontakt! - 75% zerstört! Keine feindlichen Raketen mehr. Die Raketen werden ihre Ziele in von 3,21 bis 25,50 Minuten erreichen.“

Die Linien, die sich berührten, erloschen und rund ein Viertel der gelben Linien setzte ihren Weg fort.

Dann endeten die Linien an verschiedenen Stillen und es leuchtete an den betreffenden Stellen kurz auf.

„Prag, Warschau, Bukarest‚ Lublin, Moskau, Kiew, Rostow, Leningrad, Charkow, Astrachan, Kuibychew, Swerdlowsk, Omsk, Nowosibirsk,...“

Die Stimme fuhr fort, die zerstörten Städte zu nennen.

„Alarm! Feindliche Objekte im Anflug!“

Erneut setzte hektische Betriebsamkeit ein. Unzählige Apparaturen wurden wieder in Betrieb genommen, sie hämmerten, tickten und surrten. Wieder wurden die abgerufenen Informationen auf den Monitoren sichtbar. Erneut bewegten sich Linien aufeinander zu. Diesmal erloschen jedoch die gelben Linien, während die roten Linien sich weiter bewegten.

„Achtung! Feindliche Objekte im Anflug. Abwehr nicht mehr möglich.“

Wieder starrten die Männer atemlos auf die Weltkarte. Emotionslos nannte die Stimme die Städte, die in Sekundenschnelle verglühten.

„Salem, Olympia, Sacramento, Carson City, Boise, Helena, Salt Lake City,-

Die Vorausberechnung der Flugkörper ergibt mit 95%-iger Sicherheit, daß ein Objekt im Anflug auf den VII. U.S. Luftwaffenstützpunkt des Strategischen Raketenkommandos ist. Kontakt in 0,21 Sekunden.“

Alle, die diese Nachricht hörten, erstarrten. Dann schlug jedem das Herz zum Zerspringen. Das Blut rauschte in den Schläfen und jeder begann zu zittern, von innen heraus- aus Todesangst.

Einen direkten Atomschlag würde die Basis nicht überstehen. Niemand wollte sterben und konnte es doch nicht verhindern. Das Gefühl des hilflosen Ausgeliefertseins umkrallte jeden mit eisiger Faust. Die Stimme zählte rückwärts bis zum Aufschlag, innerlich verkrampfte sich jeder der jungen Männer‚ manche fielen in Ohnmacht. Die Panik steigerte sich ins Grenzenlose, es häuften sich hysterische Schreikrämpfe, Lebensläufe wurden ins Gedächtnisgerufen, die Erinnerung an Angehörige, ein letztes Gebet...

„5,4,3,2,1- Deto“

***

Wieder in einem Bunker, diesmal nahe Washington D.C., saßen einige Herren beisammen. Unter anderem der Leiter der Raumfarht, der Oberbefehlshaber der NATO, der Oberbefehlshaber der nationalen Streitkräfte und der Vize-Präsident der Vereinigten Staaten. Durch den Raum geisterte die Verzweifelung, aber man hatte schon zu viele Besprechungen dieser Art geprobt, als daß nicht jetzt Routine das Zusammensein bestimmte. Und viele griffen geradezu begierig nach diesem letzten Strohhalm der Verdrängung.

„Dieser Krieg wird als der kürzeste in die Geschichte eingehen. Erst vor rund 3 Tagen der Anfang und nun ... Aus.“ meinte jemand.

„In die Geschichte könnte er nur dann eingehen, wenn jemand da wäre, sie aufzuzeichnen.“ meinte ein anderer feststellen zu müssen.

„Was? – Ach so, ja ...“ der Vize-Präsident wirkte zerstreut. Mit müden Augen sah er seinen Verteidigungsminister an und fragte leise: „Wie sieht’s denn aus?“

Dieser schlug eine Mappe auf und las vor:

„Nord- und Mittelamerika sind atomar verseucht, ebenso wie Europa, Nordafrika und weite Teile der UDSSR. Im ganzen asiatischen Raum sterben die Menschen reihenweise an den zum Einsatz gebrachten bio-chemischen Waffen; Indonesien und Australien sind schon nahezu entvölkert. Im Nahen Osten und in Afrika toben noch Kämpfe, die meteorologische Abteilung aber schätzt aufgrund der Informationen, die ihr zur Verfügung stehen, daß sich die Giftwolke in ihre Richtung zieht. Südamerika ist an seiner Westseite ebenfalls größtenteils atomar verseucht. Im ganzen Land, besonders im Urwald, brennen Napalm- und Phosphorbrände, die voraussichtlich nicht zu löschen sind und ah- in knapp einem Monat ist Südamerika buchstäblich abgebrannt, aber war es das nicht schon immer- hä, hä ... finanziell, meine ich, ha häh ...ä- äthem. Das sind natürlich nur grobe Einschätzungen, wie ich bemerken möchte.“ setzte der Minister eilfertig hinzu.

„Und wie sieht’s in Europa aus?“ fragte der Nato-Offizier.

„Nun, England existiert nicht mehr, halb Frankreich ist überflutet. Aber auch der Süden Europas, namentlich die iberische Halbinsel, Italien, Griechenland und die Osttürkei sind abgesunken, so daß sie bis 50 Meter unter Wasser stehen. Deutschland, ja ganz Mitteleuropa ist eine strahlende‚ radioaktive Wüste. ... Was? Ah, ja- danke‚ äh- ich... äh- ich kriege hier gerade noch etwas zur allgemeinen Situation. Laut letzten Untersuchungen sind die Meere so radioaktiv verseucht, daß sie als tot angesehen werden können. Die 0zonschicht ist zum Teil zerstört. in den höheren Schichten der Atmosphäre sind, verursacht durch die Brände und Atomexplosionen, soviel Asche, Staub und andere Schwebeteilchen,daß kaum noch Sonnenlicht durch die Schicht dringt. Der sogenannte ‘Nukleare Winter‘ steht bevor, seine Dauer ist jetzt noch nicht abzuschätzen. Es wird vermutet‚daß die ... die Erdachse abgekippt ist, da auf der Erdoberfläche schwerste Stürme und Sturmfluten vorherrschen. Sollte sich die Annahme über die Erdache bestätigen, sind Auswirkungen auf das Sonnensystem nicht auszuschließen. - Tja, zusammenfassend kann man wohl sagen, daß das der Menschheit letztes Kapitel war.“ sprachs und klappte die Mappe zu.

Ein älterer Mann schrie: „Mann, berührt sie das denn gar nicht? - Wir krepieren hier und sie erzählen in aller Ruhe über Katastrophen, wie andere über das Wetter...“

Der Angesprochene fiel in sich zusammen und flüsterte fast: „Ach, lassen sie das doch. Das ist doch alles so bedeutungslos geworden.“

Schon tief Luft holend wollte der Senator antworten, doch dann wurde ihm der Sinn der Wörter klar und er setzte sich wieder.

Dann ergriff der Vize-Präsident das Wort:

“In Anbetracht der Lage, daß es in wenigen Wochen vermutlich keinen lebenden Menschen mehr gibt, habe ich sie zusammengerufen, um mit ihnen einen Plan zu erörtern.“ Er sah den Leiter der Raumfahrtzentrale an und nickte ihm zu.

„Meine Herren, falls sie mich noch nicht kennen  sollten, ich bin der Verantwortliche für Raumfahrt hier. Aber zur Sache- wie sie sicher wissen, kreist im Orbit um die Erde die Station ‘Peace‘, die in Zusammenarbeit mit den Russen entstanden ist. Auch  wir hier werden in wenigen Wochen sterben- verdursten, vermutlich. Um wenigstens die Existenz der Menschheit zu garantieren, wollen wir einige ausgesuchte Menschen zur Raumstation schicken. Die Lebensmittel, Lufterneuerung und andere Dinge halten für schätzungsweise 50 Jahre. Bis dahin ist die Radioaktivität auf ein Minimum gesunken, der Staubgürtel hat sich gelegt und der damit verbundene ‘Nukleare Winter‘ ist vorbei, die Bakterien sind abgestorben und die Kampf- und Industriegase beginnen sich zu neutralisieren. Und vielleicht hat sich bereits neues oder altes Leben entwickelt. Dann könnten die Astronauten zurückkehren und neu anfangen. - Vielleicht ist ja doch alles nicht ganz so schlimm ... “, er hielt inne, dann meinte er brüchig:

“Irgendwelche Fragen?“

„Wie wollen sie die Leute zur Station bringen? Alle Abschußanlagen, alle Start- und Landepisten sind doch sicher auch zerstört.“

„In dieser Anlage hier ist eine startbereite Trägerrakete.“

„Davon wissen wir ja gar nichts! Wozu haben wir eigentlich einen Senat, wenn der Präsident alles diktatorisch alleine bestimmt? Woher kamen denn die Geldmittel? “empörte sich der Senator, Mr. Schultz‚ wieder.

„Welche Aufnahmekapazität hätte die Station?“ fragte ein Offizier.

„Die Station? Äh ... äh, rund 50 Leute. Aber in der Rakete können wir nur 20 Personen unterbringen.“

„Und wen ... ?“

Sekundenlang war es still im Raum.

Dann rief Mr. Schultz: „ Ja, wer von uns soll gehen?“

“Von uns?“ wiederholte der Beauftragte für Raumfahrt und wider Willen stahl sich sekundenlang ein kleines, zynisches Lächeln auf seine Lippen:

„Niemand. Es müssen körperlich und geistig völlig gesunde Menschen sein, um ein Überleben zu garantieren.

„Aber wir sind die Repräsentanten der Vereinigten Staaten. Wir haben ein Recht!“schrie Mr. Schultz hysterisch.

Sind sie aber auch der Repräsentant der Menschheit?“ donnerte der Raumfahrtbeamte zurück: „Wir haben die 20 Leute schon längst ausgesucht. Körperlich durchtrainiert, geistig wach und beste genetische Voraussetzungen, 10 Männer und 10 Frauen. Alle sind freiwillig hier, sie wiesen, was sie erwartet und was von ihnen erwartet wird. Der Fortbestand der Menschheit ist garantiert.“

Da sonst niemand mehr etwas  zu sagen hatte‚wurde das ‘Project Noah’ beschlossen.

Man wartete noch ab, bis die meteorologische Abteilung verhältnismäßig ruhiges Wetter meldete, dann glitten Schotten beiseite und die Spitze der Rakete zeigte in den Himmel.

Langsam, aber immer schneller werdend, schob sich die Rakete aus dem Schacht und stieg senkrecht auf.

***

Majestätisch schwebte die Station, sich mit anmutiger Langsamkeit um den inneren Kern drehend, in knapp 500 km Höhe um einen nicht  mehr ganz so blauen Planeten.

Die Station hatte die Gestalt eines 6speichigen Rades. Der Außenring war vollgestopft mit allen Arten von Instrumenten, die Speichen hatten nur den einen Zweck, die Besatzungen der außen am Ring angedockten Schiffe zum Inneren, zur Ächse, die der eigentliche Aufenthaltsort der Astronauten war, zu führen.

Ein leises Zittern ging durch die Station, als die Rakete am Außenring anlegte. Nach kurzem Druckausgleich in der Schleuse konnten die Astronauten die Station betreten. Es herrschte die auf der Erde gewohnte Schwerkraft. Atemluft wurde durch die Luftschächte gepumpt. Es war also nicht nötig, im Raumanzug zu leben. Deshalb zogen die Astronauten diese aus und hängten sie neben die Schleuse. Mit klammen Gliedern und einem komischen Gefühl im Bauch gingen die Amerikaner den Gang zum Mittelteil der Station hinunter. Erst dort löste sich die Spannung und man begann sich in den Kabinen häuslich einzurichten. Kurz darauf traf man sich zur Besprechung.

Und auch hier überdeckte Routine alles andere und ihre Aufgabe sollte vor dem Erinnern schützen:

„Nun sind wir hier. Die letzten Menschen der Erde.“ Fast widerstrebend kamen die Worte der Leiterin über die Lippen, doch dann ging ein Ruck durch ihren Körper und sie meinte fast schwungvoll:

„Nun, ich denke, als erstes sollten wir alle Instrumente überprüfen. Ich schlage schon jetzt vor, die Hälfte der Russen nicht zu betreten und deshalb keine Energie zuviel zu verbrauchen. Wir haben ja auch alles hier, was wir benötigen. Nach der Überprüfung der Instrumente sollten wir nicht zu viel an Zeit verschwenden und bald anfangen, ein Programm auszuarbeiten.“

Yvonne Leclerc‘s Plan wurde noch kurz diskutiert und mangels besserer Alternativen für gut befunden und angenommen.

Die Instrumente wurden kurz darauf aktiviert und die Überprüfung begann:

„Kometenwarnanlage“ - „Klar.“

„Luftumwälzer- und Erneuerer“ -  „Klar.“

„Lebenserhaltungssysteme“ – „Klar.“

„Ortungsgeräte“ „Klar.“

„Außenbordkameras“ – „Klar.“

„Energieversorgung“ „Klar.“

„Notstromanlage“„Kl- ... he, Momemt mal ... hey, kommt mal her. Seht euch das an, der Energiezähler registriert einen fast doppelt so hohen Energieverbrauch als wir eigentlich haben dürften.“ meinte Kris O‘Connor und tickte mit den Fingern gegen die Anzeige. Die Anwesenden scharten sich um ihn, dann erkundigte sich Mike Taylor:

„Wo wird die Energie denn benötigt, welche Apparate?“

„Moment‚ ich seh‘ mal nach!“ erwiderte Mona Grand‚ ging zu einem Computer und blitzschnell flogen ihre Finger über die Eingabetastaturen.

Kurz darauf murmelte sie verständnislos:

„Nanu, im Sektor 3, das ist doch eine Abteilung der Russen.“

„Was? Wir haben doch gesagt‚ daß wir da nicht hin wollen. Wer hat es denn da nicht nötig, auf die Gemeinschaft zu hören?“

„Wir sehen mal nach.“

Und so machten sich mehrere Astronauten auf den Weg zu Sektor 3.

Bald standen sie vor einer der beiden Schotten, die die russische Sektion von der amerikanischen trennte. Das erste Schott konnten sie öffnen, das zweite Schott jedoch konnte nur von der russischen Seite zum Öffnen bedient werden.

Peter Conolly schlug ein paar mal gegen das Schott, dann murmelte er:

„Versteh‘ ich nicht. Wie konnte da überhaupt einer hin?“

Sie wollten schon unverrichteter Dinge wieder zurückgehen- und hatten ihr Schott gerade erreicht, denn die Schotten lagen 20 Meter auseinander, da öffnete sich mit leisem Zischen hinter ihnen das Schott. Schnell drehten sie sich um und sahen- ebenso erstaunte Kosmonauten.

Mit aufgerissenen Augen stand man sich gegenüber, dann verzerrten sich die Gesichter:

„Mörder!“ - „Barbaren!“ - „Ihr seid schuld!“ - „Ihr Schweine‚ ihr verdammten Schweine ...“

Auf der Gegenseite schien man ähnliches zu schreien und schon stürmten insbesondere die Männer aufeinander zu- haßerfüllt.

Es hätte bestimmt Verletzte, wenn nicht sogar Tote gegeben, hätte nicht einer der Russen die Nerven behalten und blitzschnell den Impuls zum Schließen des Schotts gegeben.

Trotz heftigen Schlagens und Anschreiens der Schleuse auf beiden Seiten öffnete sie sich nicht wieder.

Sofort, als die Amerikaner wieder bei ihren Leuten waren, wurde eine Besprechung angesetzt.

„Ich sage euch, sie müssen weg, diese- diese kommunistischen Schweine! Das verdammte Pack- sie waren es, die unsere Familien töteten, die im Blutrausch unschuldige Menschen töteten- Frauen und Kinder! Diese wahnsinnige Mörderbrut hat die ganze Menschheit vernichtet- Sie sind schuld! Ich sage euch, sie tragen die Schuld! Ich sage euch, sie sind böse!- Sie müssen weg!! - Sonst werden sie irgendwann uns angreifen, genau so, wie sie es auf der Erde taten. Wir könnten keine Nacht sicher schlafen- Und wenn nicht, dann verbrauchen sie unsere Energie- unsere Luft- unsere Lebensmittel. Ich. sag‘ nochmal: Sie müssen gehen, und. wenn nicht freiwillig, dann schmeißen wir sie raus!“

„Wo sollen sie denn hin? Auf die Erde? Dann kannst du sie ja gleich ohne Raumanzug aus der Schleuse stoßen!“meinte Mike.

„Das ist mir doch egal!“      

„Aber sie sind ebenso Menschen wie wir!“ rief Mona.

„Sind sie nicht!“ schrie Lee zurück.

Nach einer Weile weiteren Hin- und Hergerufes, und als beide Parteien erschöpft ihre heiseren Stimmen pflegten, meldete sich Helen MacCarthy zu Wort:

„Sie haben die Station mitgebaut. Und sie haben deshalb ein Recht, sie zu benutzen. Wir wissen doch alle genau, daß die beiden Sektionen getrennte Systeme haben und autark voneinander sind, von Wegnehmen unserer Energie oder unserer Luft kann also gar keine Rede sein. Und außerdem- wenn wir unsere Schotten nicht öffnen, dann können sie ja auch nicht ‘rüber kommen. Denn wenn sie versuchen mit Gewalt irgendwas zu machen- so robust ist unsere Station auch nicht‚ so daß dann selbst mit hops gehen! Und das wissen sie auch selbst, es sind ja schließlich auch keine Idioten.- Aber, wohl ist mir auch nicht dem Gedanken, das einer, der bei der Bombardierung Amerikas, mitgeholfen hat, vielleicht neben mir sitzt.“

„Nun gut.“ faßte Yvonne Leclerc das Ergebnis zusammen: „Wir bleiben auf unserer Seite, die Russen auf ihrer und wir werden so wenig Kontakt wie möglich miteinander haben. Wenn alle einverstanden sind, teilen wir den Russen das mit.“

Diesen Kompromiß bejahten alle außer Lee, doch der mußte sich der Majorität beugen, wenn auch nicht aus freiem Willen.

Die folgenden Monate verlief das Leben in der Station ruhig, von einigen trotz aller Vorsicht nicht zu verhindern gewesenen Auseinandersetzungen einmal abgesehen, bei denen es aber jedoch glücklicherweise nur Verletzte gegeben hatte.

Schließlich war man nach außen tolerant, den anderem gegenüber‚ aber dicht unter der Oberfläche schwelte der Haß- auf beiden Seiten.

***

Nach ein paar Jahren fand bei einer Besprechung etwas Ungewöhnliches statt.

Man glaubte mittlerweile herausgefunden zu haben, daß die Russen eine ähnliche Mission wie die Amerikaner hatten, aber das war das Ungewöhnliche nicht. Yvonne Leclerc erläuterte gerade die Lage: „Es ist etwas Unerwartetes geschehen. Unsere Wissenschaftler auf der Erde haben sich geirrt. Die Energie und alles andere reicht für 50 Jahre, aber nur für  die halbe Station. Nun wird aber die ganze Station benutzt, und wir haben festgestellt, daß die Lebenserhaltungssysteme für nur noch rund 20 Jahre Energie haben werden. Darm werden wir hier nicht mehr leben können. Es ist aber bis dahin nicht genug Zeit verstrichen, um auf die Erde zurückkehren zu können. Das heißt, in zwanzig Jahren ist es für uns alle aus. - Es sei denn, die eine Hälfte der Station wird abgeschaltet. Dann könnte die andere Hälfte überleben und- weiterleben.“

Jeder wußte, was das bedeutete. Die Energieversorgung für eine Hälfte ausschalten, das bedeutete, daß dort kein Leben mehr möglich war, das bedeutete, daß die eine Hälfte der Besatzung sterben mußte, damit die andere Hälfte überlebte. --

„Wissen die Russen auch schon Bescheid?“ fragte Mona.

„Wir haben zwar nicht mit ihnen darüber gesprochen, aber da auch sie ihre Routineuntersuchungen haben, ist es wohl anzunehmen.“ antwortete Yvonne.

„Äthem, ich habe eine Frage.“ kündigte der Astronom Chris Moore an.

„Bitte!“ forderte Yvonne auf.

„Die Hälfte der Besatzung muß- ah ... aufhören, das Lebenserhaltungssystem zu benutzen. Aber könnte man nicht, ohne diese Hälfte- zu töten, sie mit der Rakete in- ein anderes Sonnensystem schießen?“

„Der Erfolg wäre ja wohl der gleiche.“ meinte jemand trocken.

„Aber mitnichten! So besteht wenigstens für die zu- sagen wir es in aller Deutlichkeit- zu Liquidierenden der Hauch einer Chance, die sie sonst nicht hätten.“

„Und welches System sollte das sein?“ brummte Mike. Chris überhörte die Provokation und meinte:

„Oh‚ die Centauri- Systeme kommen nicht in Frage. Dort gibt es keine Planeten, die solche Umweltbedingungen haben, wie wir sie brauchen‚ und weiter haben wir noch nie geforscht. Es ist also egal, welches System man sich aussucht, aber Sirius und Procyon sind mit 6,6 und 11,4 Lichtjahren die am nächstliegenden Systeme. -

Aber mal was anderes, soll diese Besatzung, mal angenommen, es kommt soweit, nur aus einer Sektion bestehen, das heißt ausschließlich aus Russen oder aus Amerikanern bestehen, oder soll sie gemischten Charakter haben?“

„Wäre es möglich, daß wir gemischt leben könnten, hätten wir diesen Zustand schon erreicht. Aber es gibt auf beiden Seiten immer wieder Gefühlsausbrüche. Deshalb wird auch hier Sektionsweise‚ daß heißt jede Gruppe für sich, gehandelt. So bleiben wie zusammen und ich glaube, das wollen die anderen auch.“ sagte Yvonne

„Aber wer soll die Station verlassen?“ stellte Peter die Frage, die allen im Kopf herumging.

„Die Russen natürlich, wer sonst?!“‚ meinte Lee.

„Nein!“ sagte Dana Jonsen energisch und schüttelte den Kopf und fuhr nachdenklicher fort:

„Ich möchte etwas dazu sagen. Wir sind hier, weil wir die Menschheit als Art erhalten sollen, ob wir damit einverstanden sind oder nicht. Es mag stimmen, daß wir nichts weiter als Zuchtvieh sind, daß tut im Augenblick nichts zur Sache. Aber wir sollten doch aus dem lernen, was bisher geschehen ist. Nur rund 50 Leute leben noch. Und warum ? Weil es einen Krieg gab, das wissen wir alle. Aber wie konnte es dazu kommen? - wäre die nächste Frage. Auch die Antwort wissen wir alle. Weil wir immer noch die gleichen Höhlenmenschen wie vor 500.000 Jahre sind, so hoch die Technik auch entwickelt war, es fehlte die Entwicklung des Geistes. Egoismus beherrschte sie, die Menschen da unten. Die andern gehen mich nichts an. Nur so konnte der Krieg ausbrechen. Sollen die anderen doch Krieg führen, ich bin ja in Sicherheit. Warum soll ich mich um sie kümmern, was gehen die mich an? Theoretisch kennen wir diese Überlegungen schon lange, und die Psychologen unter uns werden nicht müde, uns das immer wieder vorzubeten. Und theoretisch geben wir ihnen immer recht, durchaus. Und. wir versprechen hoch und heilig uns zu ‘bessern‘‚ wie erst wieder neulich. -  Aber kaum kommt die Probe auf‘s Exempel- Zack!- sind wir wieder bei dem Scheiß-Schema: West gegen Ost‚ wir gegen die anderen. Aber- wir sind die letzten. Und wenn wir nicht allmählich etwas ändern, und zwar hier und jetzt, dann werden wir es nie schaffen- und dann ist alles aus! Gerade wir, die wir doch den Grundstein für eine neue Menschheit legen sollen, müssen anfangen aus den Fehlern unserer Vergangenheit zu lernen, damit wirklich eine neue Menschheit entsteht und damit es nie wieder zu einem Krieg kommen kann. Deshalb meine ich, sollten wir die Station verlassen und den Part nicht den anderen hinüberschieben.

Laßt uns versuchen die Menschheit zu verwirklichen, die wir theoretisch schon lange fordern, damit ... damit die Unmenschlichkeit des Egoismus ein für alle mal zur Vergangenheit gehört, denn wozu wären wir sonst hier, wenn doch alles beim alten bliebe?“

Beschwörend, teilweise heftig war sie zum Schluß geworden und obwohl es noch wilde, lautstarke Auseinandersetzungen gab, kamen immer mehr zu der selben Überzeugung.

So wurde letzten Endes beschlossen, die Rakete fertig zu machen. Ohne die Russen zu informieren, wurde heimlich die Rakete beladen und bald kam der Tag des Startes.

Um die Russen auf die neue Lage hinzuweisen, wurde ein Videoband vorbereitet, das sich einen Tag nach Verlassen der Station abspulen sollte.

Da die Komunikationsanlagen immer eingeschaltet waren, würden die Russen die Nachricht erhalten.

Sämtliche Bildschirme in der russischen Sektion würden aktiviert werden und man wurde Yvonne Leclerc sehen, die, fast feierlich, folgende Worte auf Russisch sprechen würde:

„Ich grüße euch. Wie ihr sicher wißt, reicht die Energie nicht aus, um die ganze Station zu versorgen. Wir haben und daher entschlossen, die Station zu verlassen. Mit unserer Rakete werden wir Sirius ansteuern, um zu versuchen, dort einen bewohnbaren Planeten zu finden. Wenn ihr diese Nachricht empfangt, werden wir bereits einen Tag unterwegs sein. Ihr könnt also unsere Hälfte abschalten. Wir wünschen euch alles Gute und viel Glück bei der Neubesiedelung der Erde.“

Nachdem alle Vorbereitungen getroffen waren, legten die Amerikaner ihre Raumanzuge an, bestiegen ihre Rakete, schlossen die Schleuse und gaben den Impuls zu Start.

Ein leichtes Zittern durchlief die Station, als die Rakete beschleunigte und in den Tiefen des Weltraums verschwand.

Genau 24 Stunden später schalteten sich Bildschirme ein, jedoch nicht nur in der Sektion der Russen, sondern auch in der amerikanischen. Dort war ein Russe zu sehen, der würdevoll auf Englisch sprach:

„Ich grüße Euch. Wie Ihr sicher wißt, reicht die Energie nicht aus, um die ganze Station zu versorgen. Wir haben uns daher entschlossen ...

Leise verhallten die Worte in den leeren Gängen der Station.