Der Junge

Es war einmal ein Junge, der lebte in einem kleinen Dorf. Dieses Dorf war kein besonderes Dorf, nein, es war ein ganz normales Dorf, wie jedes andere auch auf der großen, weiten Erde.

Ein Dorf mit guten und bösen Leuten, interessanten und langweiligen; mit Leuten, die man gern hatte und Leuten, die man nicht leiden kannte. Der Junge wuchs heran und machte gute und schlechte Erfahrungen, erfuhr Freundschaft, Liebe, aber auch Haß und Abscheu, hatte Träume und Wünsche. Eigentlich wer ein recht zufriedener Junge, der noch viele Freunde gefunden hätte, seine Neigungen und Fehler kennenlernen würde und ein alles in allem glückliches Leben vor sich hatte.

Doch in dieses Dorf kam eines Tages ein Märchenerzähler. Aber dies war kein gewöhnlicher Märchenerzähler, denn wußten die anderen Märchenerzähler, daß ihre Geschichten Fantasien, Träume und unerfüllbare Sehnsüchte waren, so tat dieser, als ob seine Erzählungen wahr seien.

Und er erzählte von einem ‘Land‘‚ in dem jeder Mensch des anderen Bruder sei; einem ‘Land‘, wo nur Sonne schien, in dem die Menschen schön waren von Krankheiten nicht belästigt wurden, wo es keine Bevormundung gab und die Menschen sich ihrer sicher waren und keine Zweifel spürten. Unsicherheit und Verzagtheit exestierten dort nicht. Ebenso waren Neid und Eifersucht, Mißgunst, Haß und Unterwürfigkeit, Angst und Streit unbekannt. Diese Menschen wußten immer genau, was sie zu tun hatten und sollten sie es einmal doch nicht wissen, so gab es genügend alte, weise Männer, die die Quelle aller Weisheit waren. Mit einem Wort, jeder lebte mit der tiefen Befriedigung, daß man hier, in diesem ‘Land‘‚wirklich und wahrhaftig

l e b t e.

Nur verschwieg der Märchenerzähler wo dieses ‘Land‘ zu finden sei, aber da er es so eindringlich erzählte, verspürten alle, die ihm zuhörten, eine tiefe Sehnsucht nach diesem ‘Land‘.

Besonders die jungen Leute bestürmten ihn mit Fragen nach der Lage dieses ‘Landes‘‚ aber der Märchenerzähler machte nur vage Andeutungen und beantwortete ihre Fragen nicht, sondern fuhr lieber fort, von der Herrlichkeit dieses ‘Landes‘ zu berichten.

Und die meißten fragten dann nicht mekr, hörten weiter gebannt seinen Worten zu und vergaßen die Fragen.

Doch einige, die besonders fasziniert von den Erzählungen waren, mochten nicht davon ablassen zu fragen und zeigten sich von der Art des Märchenerzählers, die Fragen nicht zu beantworten, nicht angetan.

Und dann geschah etwas merkwürdiges. Gerade sie, die sich am meißten nach diesem ‘Land‘ sehnten‚ wurden ob ihrer dauernden Fragen von der Gruppe der Zuhörer ausgeschlossen.

Man warf ihnen vor, die Harmonie zu stören. Als gefühlskalte Realisten beschimpft oder als blöde Kritiker hämisch verlacht, durften sie nicht weiter an den Erzählungen teilhaben. Auch der Junge wurde verstoßen und fühlte sich ungerecht behandelt, denn er sehnte sich doch auch nach dem ‘Land‘ und seine Mißgunst galt doch dem ‘Land‘ nicht, sondern dem Verhalten des Märchenerzählers.

So schwieg er unverstanden und war betroffen und tief verletzt. Nun durfte er nicht mehr an den Treffen teilnehmen, sondern mußte von weitem zuhören, hinter Häuserwänden versteckt und nur ab und zu einen Blick erhaschend.

Dann, eines Tages, reiste der Märchenerzähler ab und hinterließ eine große Stille.

Die lebendige und bunte Welt schien den Träumern leer und schal. Die Welt, immernoch faszinierend und verlockend, war auf einmal eng und muffig, die alten Träume und Wünsche farblos und nur das ‘Land‘ schien als einzigstes ein bischen Freude zu versprechen. Die Farben der Wirklichkeit jedoch hatten für sie ihren Glanz verloren.

Aber da sie nicht wußten,wohin sie hätten gehen müssen, um das ‘Land‘ zu finden, zogen einige dem Märchenerzähler nach, um von dem ‘Land‘ wenigstens weiterzuträumen, während das Leben an ihnen vorbeiglitt. Andere zogen einfach so los, irgentwohin, in alle vier Himmelsrichtungen, getrieben allein von dem unheimlichen Drang, das ‘Land‘ unbedingt finden zu müssen.

Sie richteten ihre Sinne nur darauf aus und nahmen ihre Umgebung nicht mehr wahr. Unfähig, noch etwas anderes zu erkennen waren auch sie für das Leben verloren.

Wieder andere verliefen sich in der Fremde, verirrten sich, kehrten um, gaben auf, scheiterten.

Auch unser Junge verließ sein Dorf, folgte zuerst anderen, trennte sich dann von ihnen, um allein weiterzusuchen. Doch wohin er sich auch wandte, das ‘Land‘ schien immer woanders zu liegen.

So alterte er, wurde zittrig und krank.

Weitab von Freunden, nach langen Jahren nutzlosen Umherziehens starb er einsam und verbittert in der Fremde, mit dem nagenden Gefühl im Herzen, daß Schönste auf Erden nicht erreicht zuhaben.