Der Feigling

Eine gewalttätige‚ herrische‚ unerschrockene Jugend will ich
Es darf nichts Schwaches und Zärtliches an ihr sein.
Das freie, herrliche Raubtier muß erst wieder aus
ihren Augen blitzen.

Adolf Hitler

Mit Sentimentalitäten kann man keinen Krieg führen. Je unerbittlicher die Kriegsführung ist‚ um so menschlicher ist sie in Wirklichkeit.

Paul von Hindenburg

***

Er fing an zu schaukeln, unmerklich zuerst, dann immer stärker schwang der Oberkörper vor und zurück. Der kleine, primitiv-robuste Hocker knirschte und knackte und gab alle Anzeichen des Zusammenbruches von sich, aber das drang nicht in das Bewußtsein des Jungen, der auf ihm saß.

Dessen Finger strichen über glattes, kaltes Metall wie tastend, suchend, streichelnd- hier, in dieser Welt, in der Zärtlichkeiten so  selten waren, wie ein warmer Frühlingsregen im Winter. Er fühlte sich unbeschreiblich- einsam‚doch dann wurde die Einsamkeit verdrängt, er fühlte eine Geborgenheit in sich aufsteigen, eine Vertrautheit, die er gierig aufsog- irgendwelche Fetzen aus seiner Kind...- aus der Vergangenheit

Er dachte nach, starrte verloren in. die Ecke der dreckigen Unterkunft und fühlte sich erbärmlich. Seine Gedanken schweiften ab‚ und er summte im Takt seiner Schaukelbewegungen. Unwillkürlich strich er mit dem Daumen über die glatte Oberfläche und merkte erst nach langer Zeit, daß er etwas in den Händen hielt. Er starrte darauf, aber er erkannte es nicht. Wie um es durch Ertasten begreiflicher zu machen, strichen seine Finger über Lauf, Schaft und Magazin, wieder zurück und aus der verzweifelten Grübelei formte sich der Gedanke: -Das könnte ich doch nie im Leben  Wieder schweiften seine Gedanken.- War es im letzten Sommer ?

Irgendwie hatte er das Gefühl in einem- warmen Sommertag zu sitzen und nicht in einem Bunker. Er schluckte, und wieder wurde ihm bewußt, daß er- als sie ihn geholt hatten sich innerlich gewehrt hatte

Noch immer spürte er- Furcht, Bestürzung, Verzweifelung, aber alles überdeckte die- Angst, Todesangst

Angst zu sterben, das unausweichliche Ende... Seine Gedanken schweiften zurück zu dem Zeitpunkt, da sie ihn mitnahmen- er hatte sich so fest vorgenommen, sich zu wehren, zu sagen- ´Nein, ich will nicht. Ich will nicht sterben!´- Feigling, ja er war feige. Er wollte aufspringen- er blieb ruhig sitzen.

Hm, die Eltern, die Lehrer, sie alle hielten ihn für einen anständigen, braven Jungen... der Lehrer er hatte es einmal so geschrieben...

Er erinnerte sich an den Ausflug- wie hatten sie sich alle gewünscht, an die Front zu kommen. Mit großen Worten hatten sie sich ihrer Heldentaten gerühmt, wen SIE erst einmal zum Einsatz kämen. Alle hatten begeistert zugehört, hatten genauso mitphantasiert, Tausende von Menschen ... ausgelöscht

Wie von hypnotischer Kraft stand plötzlich das Bild des Soldaten vor ihm, des Soldaten, den er getötet hatte. die Kugel war ihm in den Kopf gedrungen- auf dem Boden- lag ein zerstümmelter Mensch, ein... zerstümmelter... Mensch. Das Blut und ... Gehirn klebte and den Blättern, an den Bäumen... überall... Welche Vorwürfe hätte er sich früher gemacht, Vorwürfe- Feigling- er war ein Feigling, wie oft wollte er gegen Unrecht aufstehen...

Er schaffte es nicht. Als ob der Körper nicht zum Geist gehörte, als ob Körper und Geist keine Einheit mehr waren. Der Geist redete, doch der Körper führte alles so aus, wie man... man ? wie die Oberen es erwarteten. Damals, bei der Rückgabe des Aufsatzes genauso, als man ihm einmal vorwarf, ein Judenfreund zu sein.

Er wollte sich doch aufraffen, sich verteidigen... doch er brachte kein Wort ´raus, starrte- zu seinem Gruppenleiter hin und nickte... nickte...

Seine Augen richteten sich auf die Waffe.-

Damals auf der Wiese, wurde Krieg... gedacht. Außer dem Lehrer, er war als einzigster gegen...

Er verteidigte- nicht die Angegriffenen, die Feinde- sondern den Frieden, er war gegen diesen Völkermord, wie er sich ausdrückte- wie schnell war das Lachen verflogen, hatte sich gewandelt in Verblüffung, in Erstaunen und dann, dann in Mißtrauen, Haß. Er sah noch Markus, dessen Gesicht sich haßerfüllt verzog: ´Du Verräter, du Vaterlandsverräter! Verteidigst du die Juden. Hältst Du etwa zu ihnen? Bist du etwa kein Deutscher?

Er hörte später, daß der Lehrer erschossen worden sei, erschossen mit einem Gewehr, wie er es in den Händen hielt... das Gewehr... wenn er jetzt abdrücken würde...abdrücken... könnte er nicht ´raus, hatte er keine Kugeln!

Er tastete sich zum Abzug vor, berührte ihn, zog ganz langsam an ihm, aber eine Stimme in ihm sagte überlegen, fast hämisch:-

´Kindskopf, meinst du wirklich, sie haben keine Patronen mehr- Sie geben dir ein neues Magazin und schicken dich aufs Feld- und sehen zu, wie du da umkommst!´

Aufs Feld!- Elend- Tod!- Wie schnell war die Begeisterung verflogen, als er zum ersten Mal aufs Feld kam- es war schon so lange her...

Was mache ich hier?

Er spürte nicht den kalten Schweiß, der auf seiner Stirn stand, er schluckte, seine Augen saugten sich am Boden fest. Wieder begann er immer stärker vor- und zurückzuschaukeln, seine Augen fest auf den imaginären Punkt am Boden gerichtet. Die Finger umkrampften das Gewehr und tief aus seinem Innern entquoll ein eher jaulendes Summen, er schloß die Augen.-

Er war zuhaus- erinnerte ich- an Mutter, er, der er doch schon so groß war, ein Soldat... und er wollte doch kein Muttersöhnchen sein , ausgerechnet sie sah er zuerst... dann Peter...

Er sah... blauen Himmel, Blumen...

Die Schaukelbewegung wurde stärker.-

Was mache ich hier? Was soll ich hier eingentlich?

Hinaus!

Er wollte aufspringen- aber wie so oft blieb er sitzen, nicht das erste mal- Feigling.

Er wollte nicht eingezogen werden, nicht mit ihnen gehen, er wollte nicht in den Krieg.

Er sah in Vaters Blick die stumme Bitte, sich würdig zu erweisen, ihm und der Familie Ehre zu machen... Ehre auf dem Schlachtfeld! Was nutzt Toten Ehre?

Mit gesenktem Kopf war er an dem Mann, ... nein, den Männern vorbei durch die Tür und die Treppe hinuntergegangen... das Herz klopfte wie rasend... er ging starren Blickes...´Jetzt!`  drängte es in ihm. ´Ich will nicht! Sag es endlich! Sag: Nein! Zu ihnen oder lauf! Schmeiß die Tasche weg und lauf!`

Seine Schultern sanken- er hatte es nicht gemacht. Er war ein Feigling.

... als man Peter verprügelte, auch da wollte er aufspringen, helfen, oder zumindest das Unrecht mit flammenden Worten bekämpfen-  seine flammenden Worte fehlten...

Er hatte es doch so oft gehört: Körper und Geist müssen eine Einheit bilden!

Bei ihm gab es keine Einheit. Sein Geist spürte die Fesseln, drehte und wendete sich, aber er kam aus seinem Gefängnis einfach nicht ´raus, er konnte die Fesseln nicht sprengen...

Er tat immer das, was man von ihm verlangte... ein anständiger, braver Junge...

Seine zurückhaltende, stille... seine trockene Art... mit der konnte er sich nicht anfreunden, aber auf dem Klassenausflug, daß hat er fabelhaft gemacht... als er alle Hurra geschrien hatten, zugejubelt ihres großartigen Sieges und sie alle auf der Wiese... voller Blumen und... hatten nichts besseres zu tun gehabt, als ihr Phantasie am Krieg zu begeistern.

Oh, wie hatten sie ihre Phantasie spielen lassen, hatten von Heldentaten geschwärmt, die sie vollbringen würden, wenn sie endlich an die Front kämen...

Er spielte mit... als sie- fachsimplerisch- sich Ratschläge erteilten, wie man am besten einen Untermenschen aufzuschlitzen habe, damit die Gedärme herausquellen...

Er erinnerte sich- an den Feind, den Soldaten, den er getötet hatte... aus 50 Metern Entfernung, mit einem Schuß... er hatte ihn noch nicht einmal gesehen, nur gesehen, daß sich da etwas bewegte. Stolz war er aufgestanden und hinausgegangen, um sich... sein Werk... anzusehen, sein großartiger “Werk”, er war stolz darauf, seinen ersten Feind erledigt zu haben, als erster in seinem Zug. Er wollte sehen... er wollte eine Bestie sehen... doch er sah einen Menschen, einen nicht zu alten, etwas dicken Menschen, dessen blutiger Leib auf dem Boden lag...

Er hatte ihn getroffen... Blut und Gehirn waren herumgespritzt, befleckten Büschel und Gräser... und Bäume...

Ohne es verhindern zu können, mußte er sich übergeben. Die anderen hatten ihn ausgelacht, gehänselt... dann Dunkelheit... ohnmächtig ?! – Schwächling, das war er... schwach und feige...

Als er später wieder aufwachte, hatten ihn alle so genannt: Schwächling! – Auch da wollte er aufstehen, wollte sich verteidigen, daß er ja das Vaterland verteidigen wollte... ahh, nichts davon. Er ließ alles über sich ergehen, versprach sich zu bessern... hm, bessern, verbessern – als ob man sich verbessern könnte dadurch, daß man gefühlskalt wird...

Seine gequälte stimme brachte nur klägliche Laute hervor, als er erneut zu summen anfing, jedoch dann wieder abrupt verstummte.

Der tote Soldat... wie er dalag... wie der in der Straße... Löwengasse... es war schon dunkel, als er auf dem Weg nach Hause war. Auch da lag eine Gestalt am Boden... im Rinnstein... trug einen dicken Mantel, eine Arm abgewinkelt... die Kleidung zerrissen, blutverschmiert... die Augen offen, die Zähne... ausgeschlagen... und unzählige Wunden an den Händen. Auf der Vorderseite des Mantels, halb abgerissen, war ein sechszackiger gelber Stern.

Er lief nach hause, wollte fragen, wie so etwas geschehen konnte. Ohne die Jacke auszuziehen war er ins Wohnzimmer gestürmt- doch bevor er noch ein Wort sagen konnte, sah er seinen Vater, stolz aufgerichtet, der ausrief, daß man es dem Judenpack endlich mal gezeigt habe.

Stumm und ohne zu begreifen stand er da... sein eigener Vater... hatte mitgemacht bei dieser... dieser... Schlächterei.

Ich bin einfach dagegen, einfach gegen dieses... Morden- aber es geht nicht über meine Lippen, ich kanns nicht sagen... ich bin ein Feigling.

Er hatte sich vorgenommen, nicht zur Reichswehr zu gehen, nicht dieses Morden mitzumachen. Wie viele Wege hatte er ich überlegt... wenn sie ihn holen kämen hatte er sich fest vorgenommen zu sagen: `Nein, ich will nicht, ich will nicht schuld sein am Tod von Menschen.`

Und sie würden dastehen- und `Ja` sagen- und gehen...

Wie anders kam es. Erahnte nachts, als er nach Hause kam, erst als er breite Rücken sah... in Uniform... die sich umdrehten und sagten: `Na, Kamerad!`

Die ganze Familie war versammelt, er sah die stolzen Gesichter seines Vaters und seiner Brüder... seiner Mutter... er wollte zu ihr... herausgerissen durch die Stimme einer der Soldaten. Die Sachen seien schon gepackt, sagte er, und man könne sofort aufbrechen.

Ale er sich umwandte, sah er seinen Koffer neben der Tür stehen.

Wie ein Fremder bewegte er sich auf den Koffer zu, griff seine Hand danach und trat in den Hausflur. Sein Herz krampfte sich zusammen... er spannte sich an... wollte den Koffer absetzen... wollte seine Rede halten, seine Verweigerung... JETZT! – Stell´ den Koffer hin und dreh´ dich um! Sag´s ihnen  und renn´ ´raus!

Die Finger entspannten sich wieder.

Was mache ich hier ? Nach Hause gehen- nach Hause. Ich will nach Hause! NACH HAUSE!... Angst- ich hab´ Angst- Feigling !- Angst...

Angst, daß man ihn abholen könnte- Angst vor Verwundung- Todesangst, auf dem `Feld` zu sterben. Er wollte nicht sterben...

... auf der Wiese, zwischen Blumen und hohem Gras, als sie ihr `Fahnenlied` sangen: `Ja, die Fahne ist mehr als der Tod`, als sie alle begeistert `Heil Hitler` und `Sieg Heil` schrien... da war er, der nicht mitschrie, der den Kopf schüttelte, sprachlos... dann sprach er von der Schrecklichkeit des Krieges, von der Zerstörung, dem Mord, von der Verstümmelung, von dem Schmerz und dem Leid, dem Sterben.

Wie schnell war das Lachen verschwunden, das begeisterte Johlen... verwandelte sich in Verblüffung, Verwunderung, Erstaunen. Sie hatten ihn angestarrt, wie er so dastand... stand nicht, saß... und mit bitteren Worten vom Krieg erzählte, alle starrten ihn an...

Ich konnte ihn nicht verstehen, wie konnte man an der Sache zweifeln, die ist doch gerecht...

Markus, der ihn anbrüllte als `Verräter, du Judenfreund`, als `Verräter am deutschen Volke`.

Am Tag später, als man ihn abholte, mitten aus der Schule, vor versammelter Klasse... waren alle irgendwie überrascht... nur Markus grinste...

Er soll erschossen worden sein, einfach erschossen wie ein tollwütiger Hund... mit Gewehren, wie er eins auf den Knien hielt.

Wenn ich jetzt abdrücke, wenn ich jetzt schieße, habe ich keine Munition mehr, dann... sie können mich doch nicht einfach ´rausschicken... nicht unbewaffnet... einfach drücken, drücken...

Du Narr, glaubst du das klappt ? Die geben dir ein neues Magazin und schicken dich auf´s Feld.

...hm, Feld der Ehre... hat nichts  strahlendes an sich... nur da liegende, zerfetzte Kadaver... Schlamm... blutig-grau, trist... zerfetzte, verbrannte Bäume... überall Splitter... Bomben, Granaten, Kugeln... der Geschützdonner, der alles überlagert... die Schreie der Verwundeten und das Stöhnen der Sterbenden... das Gröhlen der Soldaten, die sich vor jedem Angriff betranken, um noch ein letztes bißchen Leben zu spüren... vielleicht zu letzten mal...

Als er das erstemal das `Feld` sah, tief geduckt in den Schützengraben... das war nicht das Feld der Ehre, das konnte es nicht sein... das durfte es nicht sein... zuhause kannte man doch nur siegreiche Schlachten, da war alles glänzend...

Tot, alle tot...

Markus war einer der ersten... sie hatten nur noch Leichenteile ins Grab gelegt... eine Artilleriegranate...

Peter, zerfetzt von einer Mine...

Bernhard, erschossen beim Angriff von einer Maschinengewehrgarbe, die fünf weitere erwischte...

Hans, als Stoßtrupp vermißt...

Johannes, beim Fliegerangriff beide Beine weggerissen...     

... sein Bruder Helmut, durch Granatsplitter die Nase und ein Auge... gestorben am Wundfieber...

Ich will nach Hause! ... unsere Straße... Sonnenschein... blauer Himmel, Vögelgezwitscher... Blumen... keine Angst, der Alltag vor sich hinplätschernd... zu Hause fern aller Angst... freundliche Augen... Mutter... Mama!... 

Augen schließen- lächeln...

Abrupt wurde er aus seinen Träumen gerissen. Durch die Tür, die wie von gewaltigen Faustschlägen erbebte, stolperte ein Hauptmann in den Schutzraum.

Er schüttelte sich kurz, dann musterte er die kleine, in einer Ecke, auf einem Hocker sitzende Gestalt, bevor er brüllte:

„Ich seh´ wohl nicht recht ! Los, raus ! Was meinst du, was du bist !- Beeil´ dich gefälligst !“

Mit aufgerisenen Augen starrte der Angeschriene zur Tür, hatte sich der kleine, magere Körper zusammengekauert.-

Nein ! Ich will nicht ! Angst !

Der Hauptmann sah auf den 15-jährigen Jungen, der aus Augen, in denen die nackte Angst stand, zur Tür starrte und dessen Körper erbärmlich zitterte. Fast wollte der Hauptmann wieder hinausgehen, dieses Kind hier sitzen lassen, aber plötzlich brüllte er das Mitleid nieder:

„Steh´ endlich auf ! ... das du ´rauskommst !“-

Nein, ich will nicht sterben ! Ich geh´ nicht ! Sag´ es doch endlich- sag´ es...

Wieder wurde der Hauptmann von seinen Gefühlen hin- und hergerissen, und mit einem letzten Blick wollte er nun endgültig gehen, und meinte mehr zu sich, um nicht ebenfalls im Bunker zu bleiben:

„Los jetzt !“

Da stand die kleine Gestalt auf Sag´, daß du nicht willst, sag´ es endlich ! fasste die kleine Hand das große Gewehr fester Tu ´was, wirf es weg !, ging mit schleppenden Schritten zur Tür bleib´ stehen, trau dich, bleib´ doch stehen, du FEIGLING ! und mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern trottete er am Hauptmann vorbei in den Schützengraben, der seit mehreren Stunden unter Beschuß lag, und in dem sich die anderen zum Angriff fertigmachten.-

Jetzt ! Schnell jetzt ! Bleib´ doch stehen- geh´ zurück ! Sag, du willst nicht, sag´ du willst nach Hause ! So sag´ doch ´was, du Feigling, Feigling, FEIGLING !

Kaum war er im Schützengraben, traf ihn ein Fausthieb in den Rücken, der ihn der Länge nach umwarf. Unter den Flüchen der anderen hörte er die Stimme des Hauptmanns:

„Mensch, nimm´ gefälligst Deckung !“

Er wandte den Kopf um, seine Blicke trafen zuerst den Hauptmann, dann die dunkle Tür des Bunkers, und langsam stemmte er sich hoch- Ja ! Ja, trau´ dich, geh´ hin !, doch dann ließ er sich wieder sinken und robbte an die Stelle- Feigling, du elender Feigling !, die der Hauptmann ihm zuwies.

* * *

Nicht lange darauf bekam eine Mutter einen Brief, dem sie sofort ansah, woher er kam und den schon so viele Familien erhalten hatten.

Obwohl sie wußte, was er enthalten würde, öffnete sie ihn betäubten Gemütes.

Von dem Briefkopf las sie bloß:

Volkssturm
Abt. HJ + Jungvolk

In einem vorgedruckten Formular, in das nur Adresse und Datum eingetragen werden mußte, stand:

Wir müssen Ihnen leider mitteilen, daß Ihr Mann/Ihr Sohn am
4.1.45 den Heldentod für Führer und Vaterland gefallen ist.

Danach war in krakeliger  Handschrift hinzugefügt:

Ihr  Junge hat tapfer gekämpft. Als die Engländer in unsere Straße eindrangen, in der wir lagen, war er als einzigster auf Geheiß losgestürmt. Er riß durch sein Beispiel seine mutlosen Kameraden mit und war ihnen ein leuchtendes Vorbild.

Leider traf ihn auch als ersten die Kugel eines Scharfschützen, aber ich kann Ihnen versichern, daß ihr Sohn nicht gelitten hat. Er war sofort tot.

Aufgrund der außerordentlichen Tapferkeit vor dem Feind werde ich mich dafür einsetzen, daß ihm das Eiserne Kreuz posthum verliehen wird.

Sie können stolz auf Ihren Sohn sein, sehr stolz.

Er war ein Held.

Heil Hitler

* * *

Irgendwo in den Trümmern auf den Schlachtfeldern Europas lag ein verstümmelter Körper, die Gliedmaßen aufgerissen, schrie eine helle Jungenstimme verzweifelt ihren bestialischen Schmerz und ihre Angst in die stickige Luft und vereinigte sich mit dem Stöhnen und gurgelnden Röcheln anderer.

Der letzte Gedanke, den das Gehirn des zerfetzten Körpers formen konnte: ... hast dich wieder nicht gewehrt, nichts gesagt... hast alles mit dir machen lassen... du... bist und bleibst ein... Feigling

***

Epilog

Wieder wird ein Krieg  vorbereitet, wird aufgerüstet.

Wieder werden Aktionsprogramme gegen den Pazifismus ausgearbeitet, werden Begriffe wie „Etappenleben“, „Feld der Ehre“, „Heldentod“, „Tapferkeit“ und vor allem „Vaterland“ und andere schöne Phrasen durch „bewaffneter Friede“, „militärisches Gleichgewicht“, „Abschreckung“, „Vorneverteidigung“ und, als Krönung der Perversität, durch „Vergeltung“ ersetzt.

K R I E G:    

  • das bedeutet zerfetzte Leiber, menschliche Überreste, aufgequollene und bereits in Verwesung übergegangene Leichen, Gasvergiftete, Strahlengeschädigte, die mehrere Jahre dahinvegetieren, Invalide
  • das bedeutet Gemordete, die bis auf´s Hemd ausgeplünder und dann den Tieren zum Fraß liegengelassen werden
  • das bedeutet geschändete Frauen und entsetzlich verstümmelte Menschen, an denen mehr als zwanzig mal operiert werden müßte, um ihnen ein einigermaßen menschliches aussehen geben zu können und die oftmals künstlich ernährt werden müssen
  • das bedeutet, daß Verwundete ohne medizinische Versorgung bleiben, wenn sie „sowieso“ sterben würden (Zentrale Dienstverordnung 49/50)
  • das bedeutet Flüchtlinge, am Hunger und Durst Gestorbene, Erfrorene, Seuchen und radioaktiv verseuchte Gebiete
  • das bedeutet verbrannte Wälder, zerstörte Städte und ausgebombte Landstriche
  • das bedeutet durch Bomben, granaten und Raketen „durchgepflügten“ und durch Schützengräben durchwühlter Boden
  • das bedeutet Witwen und Waisen, milliardenfachen Tod und bio-chemisch auf Jahrzehnte totes Land
  • das bedeutet Plünderungen, marodierende Horden, Vergewaltigungen
  • das bedeutet Massengräber und bedeuten die unendlichen Reihen der Kreuze auf unzähligen Soldatenfriedhöfen !

S E H T- I H R- D A S- A L L E S- N I C H T ?

H A B T- I H R- D A S- S C H O N- V E R G E S S E N  ?

Wer diesen Massenmord und dieses Elend bejaht, den sperre man ins Irrenhaus, wer jegliche Waffengewalt bejaht, den meide man, wie man der Pest ausweicht.

Sehen wir in Soldaten das, was sie sind:

vom Staat bezahlte Berufsmörder, die in staatlich konzessionierten Mörderschulen, genannt Kasernen, ausgebildet werden in der professionellen Ausübung der schrecklichsten Verbrechens: des kaltblütigen Menschen- Mordes !

- Ich will nicht ! -

Stärker als die Gewalt, als Säbel und Gewehr
ist mein Geist, ist unser Wille.
Gebt Inhalt diesen Worten, verweigert den Kriegsdienst
und alle Kriege sind in Zukunft unausführbar.

Ernst Friedrich, im Juni 1924